Digitales Gesundheitswesen

Kommt das elektronische Patienten-Dossier endlich an?

Lesezeit:        4 Min.
Publikation:    04. November 2025, Jessy Thür

Das digitale Gesundheitswesen in der Schweiz steht im Zeichen eines grossen Vorhabens: das elektronische Patientendossier (EPD). Ziel ist es, den Zugang zu Gesundheitsinformationen für Patientinnen und Patienten sowie Leistungserbringer einfacher, sicherer und effizienter zu gestalten. Doch obwohl die Grundlagen geschaffen sind, bleibt die Verbreitung bisher eher schleppend.

Ärztin an Computer

Was ist das EPD?

Das EPD ist eine landesweit einheitliche digitale Sammlung medizinischer Informationen – zum Beispiel Austrittsberichte von Spitälern, Medikationslisten oder Pflegedokumentationen. Es kann von allen Menschen in der Schweiz eröffnet werden – freiwillig und grundsätzlich kostenlos.  Gesundheitsfachpersonen und Institutionen können mit Berechtigung darauf zugreifen. Gesetzlich sind Spitäler (seit 2020) und Alters- und Pflegeheime (seit 2022) verpflichtet, eine Teilnahme zu ermöglichen.

Wo stehen wir heute?

Obwohl die Vision klar ist, stellt sich die Realität folgendermassen dar:
  • Eine aktuelle Prüfung der Eidgenössischen Finanzkontrolle (EFK) besagt: Weniger als
    80'000 Personen hatten 2024 ein EPD eröffnet. Viele Spitäler und Heime sind trotz gesetzlicher Pflicht noch nicht angeschlossen.
  • Laut Medienberichten waren Mitte April 2023 gerade einmal rund 19'481 elektronische Patientendossiers eröffnet.
  • Ein Bericht aus dem Herbst 2023 stellte fest: «Das EPD wird von der Bevölkerung kaum genutzt.»
  • Im Kanton Zürich wurde zwar eine Online-Eröffnung eingeführt, jedoch wird darauf hingewiesen, dass noch viele Gesundheitsanbieter nicht angeschlossen seien.
Damit ergibt sich ein Bild, in dem wichtige technische, organisatorische und vertrauensbildende Hürden noch überwunden werden müssen.

Warum stockt die Verbreitung?

Mehrere Gründe können identifiziert werden:
  1. Niedrige Nutzerzahlen
    Trotz gesetzlicher Grundlage ist die Beteiligung eher gering.

  2. Angebots- und Anschlusslücken bei Leistungserbringern
    Wenn Spitäler, Heime oder Arztpraxen nicht angeschlossen sind, fehlt der Mehrwert für Patientinnen und Patienten.

  3. Komplexität und Usability
    Beispielsweise benötigt man eine digitale Identität wie eine SwissID, und die technischen Voraussetzungen werden erwähnt.

  4. Vertrauen, Datenschutz und Kommunikation
    Einige Fachverbände äusserten Kritik – zum Beispiel über mangelnde Praktikabilität. Zudem ist der Nutzen für die Bevölkerung noch nicht überzeugend genug kommuniziert.

  5. Fragmentierung
    Es existieren mehrere Stammgemeinschaften („EPD-Anbieter“), was die Komplexität erhöhen kann. Zum Beispiel: AD Swiss, eHealth Aargau, CARA.

Was tut die Schweiz aktuell, um das EPD voranzubringen?

  • Der Bundesrat plant eine Revision des Gesetzes über das EPD: Ziel ist, dass allen Versicherten gratis ein EPD zur Verfügung gestellt wird und Anbieter von Gesundheitsleistungen verpflichtet werden sollen, Dossiers zu führen.
  • Ab Oktober 2024 sollen Leistungserbringer eine Entschädigung von 30 Franken pro eröffneten Dossier erhalten, um die Verbreitung zu steigern.
  • Eine Medienmitteilung vom Kanton Freiburg zeigt, dass drei Stammgemeinschaften sich zusammenschliessen ab 2026, um schweizweit eine einheitliche Plattform zu schaffen. 
  • In einigen Kantonen wie Bern oder Zürich wurde eine digitale Selbst-Eröffnung (Online) des EPD eingeführt.

Warum lohnt es sich – und was müsste noch passieren?

Potenzial:
  • Für Patientinnen und Patienten: Ein zentraler, digital zugänglicher Ort für Gesundheitsdaten bietet bessere Übersicht und ermöglicht, bei Behandlungswechseln schneller Informationen zur Hand zu haben.
  • Für Leistungserbringer: Bessere Datenverfügbarkeit kann Behandlungsqualität und Effizienz verbessern.
  • Für das System insgesamt: Vernetzte Daten bedeuten potenziell geringere Redundanzen, weniger Papier, bessere Koordination.
Was müsste sich ändern:
  • Mehr Anschluss von Leistungserbringern: Spitäler, Praxen, Heime müssen flächendeckend angeschlossen werden, damit das EPD seinen Nutzen entfaltet.
  • Weniger Hürden bei der Eröffnung: Online-Eröffnung sollte einfach, schnell und nutzerfreundlich sein – mit klarer Kommunikation.
  • Mehr Darlegung des Nutzens für die Bevölkerung: Warum sollte jemand aktiv ein EPD eröffnen? Hier fehlt die breite Wertvermittlung.
  • Stärkere Interoperabilität und Standardisierung: Damit Daten wirklich ausgetauscht werden können, müssen technische und organisatorische Standards eingehalten werden.
  • Vertrauen und Datenschutz: Offenheit über Sicherheit, Zugriff, Rechte und Schutzmechanismen ist zentral, damit Menschen sich mit gutem Gefühl anmelden.
  • Klarheit über Finanzierung und Verantwortung: Wer zahlt, wer führt, wer haftet? Die Gesetzesrevision adressiert einige dieser Aspekte.

Mein Fazit

Ja – das EPD könnte ein wichtiger Meilenstein für das digitale Gesundheitswesen in der Schweiz sein. Die Grundlagen sind mehrheitlich gelegt: Gesetz, Anbieter, technische Plattformen existieren. Doch ob es „endlich ankommt“, hängt davon ab, wie schnell die erwähnten Hürden beseitigt werden. Solange das Angebot noch für viele Beteiligte zu wenig Nutzen stiftet oder schwer zugänglich erscheint, bleibt die breite Nutzung versprochenes Potenzial.

Wenn aber Leistungserbringer angeschlossen sind, Bürgerinnen und Bürger schnell und einfach einsteigen können – und sie sehen, wie das EPD konkret ihren Alltag erleichtert –, dann kann das EPD tatsächlich zu einem zentralen Baustein im Gesundheitswesen werden. Die nächsten Jahre werden zeigen, ob dieser Schritt gelingt.

Bitte beachten Sie, dass alle Angaben ohne Gewähr sind und Änderungen vorbehalten bleiben. Wir empfehlen, aktuelle Informationen direkt auf den jeweiligen Webseiten einzusehen.

«digitaljournal.ch»

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